
Müssen wir denn tatsächlich schon wieder Pfefferkuchen essen, Geschenke einpacken und uns von hölzernen Räuchermännchen die Luft verpesten lassen? Warum nur vergeht die Zeit so schnell? War nicht gerade erst Weihnachten? Da hat man die Socken vom letzten Jahr noch gar nicht ausgepackt, aber der bärtige Zausel klopft schon wieder an die Tür und bringt neue. Und das Gesinge überall – nein, es ist nicht zum Aushalten! Dagegen hilft nur eins: Rückzug auf die Couch, Heizung auf, Ohren zu und einen ordentlichen Krimi vors Gesicht!
Zum Beispiel den neuen von Don Winslow. In „Missing. New York“ (Droemer 2014) zeigt der sich mal von einer ganz anderen Seite. Nicht so knallhart-realistisch wie in den Büchern, mit denen er zum Star wurde, und auch nicht so stupide waffengeil wie zuletzt in „Vergeltung“. Stattdessen präsentiert er uns mit Frank Decker einen Cop ganz in der amerikanischen Hard-boiled-Tradition: ehrlich, unbestechlich und getrieben von dem Willen, Recht und Gesetz mit allen Mitteln durchzusetzen. Und wenn das eben als Polizist nicht möglich ist, dann wird der Dienst quittiert und man macht sich als Einzelkämpfer auf die Strümpfe. Das klingt etwas zu idealistisch? Ist es natürlich und – nebenbei bemerkt – huldigt das Buch auch wieder ein wenig zu unbedenklich einer liberalistischen Ideologie à la „Mein ist die Rache, sprach der Herr.“ Spannend freilich ist es allemal, wenn Decker nicht an den Tod der verschwundenen siebenjährigen Hailey glaubt, zwei Spuren aufnimmt, aus denen letztlich eine wird, und sie verfolgt, bis er das Mädchen findet und nebenbei noch einen ganzen Pädophilenring sprengt.
Winslow lässt in „Missing. New York“ erstmals einen Helden in der Ich-Form erzählen, schreibt nicht mehr ganz so ultrakurze Kapitel, kommt um ein paar Klischees freilich nicht herum und muss sich fragen lassen, ob die Art und Weise, wie seine neuesten Helden die Ungerechtigkeiten in der Welt zu regeln versuchen, nicht ein kleines bisschen reaktionär ist.
Mehr noch als Winslow beeindruckt haben mich die beiden Schweden Hans Rosenfeldt und Michael Hjorth. Sie waren mir bis dato unter all dem Guten, was da jährlich aus Nordeuropa auf unseren Buchmarkt strömt, nicht aufgefallen. „Das Mädchen, das verstummte“ (Wunderlich 2014) ist deshalb der erste Roman, den ich von ihnen gelesen habe. Doch es wird, das schwöre ich hier, nicht der letzte sein. Die Geschichte um den brutalen Mord an einer vierköpfigen Familie, den ein 10-jähriges Mädchen mit ansehen muss, ist nämlich packend, psychologisch stimmig und literarisch überaus gelungen. Hjorth und Rosenfeldt, die sich erste Lorbeeren mit Arbeiten fürs Fernsehen verdient haben, wissen sehr genau, wie Spannung auch mit sparsamstem Actioneinsatz erzeugt werden kann. Und sie präsentieren mit ihrer Ermittlergruppe von der Reichsmordkommission vier Typen – drei Männer und eine Frau -, von denen jeder noch sein eigenes dunkles Geheimnis mit sich herumträgt. Dass dem Kriminalpsychologen Sebastian Bergman unter ihnen eine Extrawurst gebraten wird, indem Hjorth & Rosenfeldts deutscher Verlag die Romane mit dem Untertitel „Ein Fall für Sebastian Bergman“ vermarktet, ist unter diesem Aspekt fast ein bisschen ungerecht. Allerdings hat der sexbesessene, unkonventionell arbeitende und mit seinen Meinungen nie zurückhaltende Exzentriker diesmal wirklich die Nase vorn, wenn es um den Umgang mit einer Zeugin geht, der die Angst die Stimmbänder gelähmt hat.
Dass einer wieder da ist, freut mich ganz besonders. Denn ich liebe den Brenner, seitdem ihn Wolf Haas 1996 erfunden hat. Simon heißt er übrigens mit Vornamen und in „Brennerova“ (Hoffmann und Campe 2014), seinem achten Auftritt, sieht es am Anfang ganz so aus, als hätte Haasens Held das ewige Alleinsein nun endlich satt. Eine Frau muss her – und weil das Angebot im Internet allemal größer ist als das in der nächsten Diskothek, befindet er sich schon bald auf der Fahrt in die russische Provinz, um (s)eine Nadeshda heimzuholen. Die will aber eigentlich nur ins Alpenland, weil hier ihre Schwester Serafima verschwunden ist – der Brenner quasi nur Mittel zum Zweck. Und um die Sache richtig kompliziert zu machen, gibt es da auch noch die Herta, eine wegen Übergriffigkeit geschasste Lehrerin, die auf der Suche nach ihrer Mitte ist und dem Brenner gern die Fesseln der Ehe anlegen würde. Schade, dass sie auf einem Selbsterfahrungstrip in die Mongolei entführt wird. Fazit: Viel Weib, viel Stress! Aber natürlich managt Haasens Held das ganze Durcheinander so souverän, wie wir Leser das von ihm gewohnt sind. Und dass er sich dabei noch mit der halben Wiener Unterwelt und ein paar ganz besonders fiesen Mafiosi anlegen muss – geschenkt! Mehr Literatur als Krimi, mehr Sprachspiel als Tätersuche, mehr Lachfältchen als Angstschweiß – Wolf Haas eben!
Ja, und nun feiert mal schön! Und immer dran denken: Grad in der Weihnachtszeit geht es verbrechensmäßig richtig ab in Deutschland. Das ist statistisch belegt. Was da so hochkocht an innerfamiliären Zwistigkeiten zwischen Frühstück und Gänsebraten – aber hallo! Also ich hoffe wirklich, ihr seid im Februar noch da, um meine nächsten Krimitipps zu lesen. Bis dahin: Nicht provozieren lassen, sich still in seine Gänsekeule verbeißen und: Mord und Totschlag!
Euer
Dietmar Jacobsen
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